Weihnachtspost

Weihnachtspost

Andacht

WIE ERWARTET

Er biegt um die Ecke unter der alten Linde, drückt die Klinke der schweren Tür hinunter. Sie ist offen! Er geht langsam durch die Bankreihen, hört den Hall der eigenen Schritte in dem weiten Raum. Das Licht fällt durch die Fenster, Strahlen durchbrechen das Halbdunkel. Wintersonne. War es schon immer so schön hier?

Er setzt sich auf eine der Holzbänke. Ungefähr hier muss es gewesen sein, hier hatte er als Kind immer mit seiner Oma gesessen, später dann als Konfi. Niemals hätte er es zugegeben, schon gar nicht gegenüber seinen Freunden, aber irgendwie ist er immer gern hier gewesen. Ihm gefiel besonders, dass das ein anderer Ort war. Kein Museum, kein Wohnzimmer, keine Konzerthalle, einfach ein anderer Ort. Und das Vaterunser im Gottesdienst. Manchmal macht das Gänsehaut, wenn alle das gleiche Gebet sprechen.

Eine Kerze anzünden, das macht man so, wenn man eine Kirche besucht. Eine Kerze für besondere Menschen, eine Kerze für verlorene Liebe. Vielleicht auch eine Kerze für den Advent.
Es muss Jahre her gewesen sein, dass er das letzte Mal hier gewesen ist. Kurz vor Weihnachten schon mal gar nicht. Zu wenig Zeit, zu viel Stress, zu viel Arbeit, zu viel zu erledigen – von allem zu viel.
Zu viel im Leben, das gegen Gott spricht. Wochenendvater, die Kerze brennt für seinen besten Freund. Motorradunfall. Ihm steigen die Tränen in die Augen, er zieht die Nase hoch. Hat er mich vergessen? So wie ich ihn?

Draußen ziehen die Wolken, lassen die Sonnenstrahlen wieder ins Innere. Er bleibt im Lichtkegel stehen. Ein wenig Wärme. Und die Sehnsucht nach einem, der Licht in dunkle Momente bringt. So wie die Lichter der Stadt, der Dörfer, der Häuser, der Menschen, die diese Jahreszeit begleiten.
Er zieht die Tür hinter sich zu, froh hier gewesen zu sein. Eigentlich ist nichts passiert, aber es war, als sei er erwartet worden.

Im Namen der Kirchengemeinde wünsche ich Euch & Ihnen eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Helge Jörgensen

Weihnachtspost 2021